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Viola Hillmer © Modell-Fotos Sebastian Schels
Jana Gretz © Modell-Fotos Sebastian Schels
Laura Schinner © Modell-Fotos Sebastian Schels

»Toilette für Alle« revisited – ein Rückblick mit Jun.-Prof. Max Otto Zitzelsberger

Die Präsentation der Abschlussarbeiten zum Thema »Toilette für Alle« fand im April 2023 statt. Mit Jun.-Prof. Max Otto Zitzelsberger sprechen wir über die Herausforderungen seiner  ungewöhnlichen Aufgabenstellung und drei der interessantesten Arbeiten.

Vielen Dank, dass Sie sich der Qual unterzogen haben, aus der Vielfalt der Entwürfe drei herauszusuchen. Die Auswahl erfolgte hoffentlich nicht nach Bestnoten?

Nein, ich habe versucht, mit diesem Trio das weite Feld der unterschiedlichen Lösungen halbwegs abzustecken.

 

Wie verlief die Präsentation?

Dass eine Abschlusswoche mit täglich zehn Präsentationen allein schon physisch anstrengend ist, wusste ich bereits, aber als Aufgabensteller ist man noch einmal stärker gefordert. Hervorheben möchte ich die Qualität des Modellbaus, was meine Hoffnung bestätigt hat, dass Absolvent:innen tiefer in die Konstruktion einsteigen, wenn das zu entwerfende Haus klein ist. Das Genderthema trat in den Diskussionen leider manchmal in den Hintergrund, weil so viele technische Fragen zu stellen und zu beantworten waren, dazu kamen Debatten zur Standortwahl, zur geforderten Verwendung gebrauchter Bauteile und vieles mehr – ehrlich gesagt, war dies eine nicht vollständig zu lösende Aufgabe. Aber jedes Scheitern kann zu neuen Erkenntnissen führen.

 

Mich hat vor allem überrascht, dass eine öffentliche Toilette als Instrument zur Erschließung und Aktivierung des öffentlichen Raums dienen kann. Aber nicht nur dies zeichnet alle drei ausgewählten Arbeiten aus.

Jana Gretz hat eine außergewöhnlich präzise Arbeit abgeliefert, was die Setzung, die Konstruktion und die Tiefe der Detailausbildung angeht. Ihr Entwurf ist absolut schlüssig, sie hat die wiederverwendeten Bauteile überaus ästhetisch gefügt, das Gebäude wäre sofort realisierbar. Der Standort neben der Stiftskirche lässt zunächst eher an eine kleine Kapelle denken, in der sich vielleicht eine Marienfigur oder ein Kruzifix befindet. Diese vermeintliche Widersprüchlichkeit von trivialer Funktion und hochwertiger Gestaltung finde ich aber besonders interessant, weil sie die Frage aufwirft, warum sich bei uns die meisten Menschen in öffentlichen Toiletten eher unwohl fühlen, ganz unabhängig von Genderfragen. Ließe sich dieses Unbehagen – vielleicht nicht allein, aber auch – durch eine sorgfältigere Gestaltung dieser Räume zerstreuen? Andere Kulturen sind da schon weiter.

Die Präsentation der Arbeit von Laura Schinner habe ich leider verpasst. Was ist das Besondere an ihrem Entwurf?

Laura Schinner hat mit gebrauchten Elementen wie Gewächshäusern, Dachluken und Türen gearbeitet, aber auch Gerüstbauteile, etwa Kabelbrücken, mit einbezogen. Als Standort für die Toilette hatte sie anfangs die Arkaden eines gemeinnützigen Wohnungsbaus von Hermann Hussong aus den 1920ern vorgesehen. Sie fand im Laufe der Bearbeitung heraus, dass die Bewohner sämtliche Gemeinschaftsflächen über einen Verein verwalten, der schließlich als möglicher Betreiber dieser Toilette für alle in Frage kam – ein realitätsnahes Szenario, das weitere Positionen und Funktionen an dem Wohnblock ermöglichte. Die Symbiose dieser ephemeren, aber sehr gut durchgearbeiteten Konstruktionen mit einer so bodenständigen und ortsbildprägenden Architektur hat einen ganz besonderen Reiz. Eine lebhafte Diskussion entzündete sich an der Frage, ob man so etwas einem Baudenkmal zumuten könne. Die Denkmalpflege wäre aber womöglich tolerant, weil sich diese symbiotischen Konstruktionen rückstandslos entfernen ließen. Die Arbeit wirft eine entscheidende Frage auf: Muss eine Architektur aus gebrauchten Materialien nicht per se ganz anders aussehen als das, was wir schon kennen?

 

Viola Hillmer hat den Theaterplatz in Basel als Standort einer »Toilette für Alle« ausgewählt. Wodurch zeichnet sich ihr Entwurf aus?

Sie verwendet Stahlfassadenelemente des sogenannten „Postreitergebäudes“ aus den 1970er-Jahren, dessen Rückbau seit langem beschlossen ist, und konstruiert daraus ein Gebäude, das deutlich verspielter ist als der Ursprungsbau am Basler Bahnhof. Dieses Toilettengebäude würde sicher mehrere hunderttausend Euro kosten, insofern passt es gut nach Basel, wo die finanziellen Möglichkeiten andere sind als hier. Bezogen auf das Genderthema hat sie einen wichtigen Aspekt thematisiert: der gemeinsame Eingang für alle. Denn unterschiedlich markierte Eingänge sind zwar freundlich gemeint, aber wenn ich einen davon benutze, stelle ich damit meine geschlechtlichen Identität bloß. Das war auch für mich eine neue Erkenntnis in der Betrachtung des Verhältnisses von Geschlecht und Raum. Bei Viola Hillmers Entwurf sind die unterschiedlichen Toiletten hinter dem gemeinsamen Vorraum wie auf einer Drehbühne organisiert, was von den Anschlüssen her höchst kompliziert wäre. Das verdeutlicht das Spannende an dieser Aufgabe, vielleicht an Architektur überhaupt: die Balance zwischen Konzept, Gestaltung und Technik.

 

Das Gespräch führte Nils Ballhausen