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Christiane Fath © Jasmin Schuller

»Wahrnehmung von weiblichen Role Models, die lehren, bauen und praktizieren, sind inspirierende Momente für Studierende«

Im Sommersemester 2023 ist die Klara-Marie-Faßbinder-Gastprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung am Fachbereich Architektur der RPTU angesiedelt. Als Gastprofessorin wird Christiane Fath, Architektin und Kuratorin aus Berlin, in verschiedenen Formaten über die Zusammenhänge von Gender und Planungskultur lehren und forschen. Ein erster Ausblick.

Frau Fath, trotz des seit Jahren ausgeglichenen Verhältnisses zwischen weiblichen und männlichen Studierenden, gründen Frauen viel seltener als Männer ein eigenes Architekturbüro. Professorinnen sind an Architekturfakultäten noch immer in der Minderheit. Woran liegt das?

Diese Frage wird mir seit Jahren immer wieder gestellt – und ich kenne die eine, alles umfassende Antwort nicht. Es ist vielmehr eine Gemengelage, die sich aus historisch Manifestiertem, über Generationen Erlerntem und einer bias (im Sinne von Verzerrung, Voreingenommenheit, Einseitigkeit, Tendenz, Vorurteil) zusammensetzt. Oft weise ich  auch auf Care-Arbeit hin, die noch immer überwiegend von Frauen geleistet wird.

 

Welche Faktoren hindern angehende Architektinnen immer noch daran, selbstbewusst ihre eigene Karriere aufzubauen?

Einerseits existiert diese überkommene Vorstellung des Berufsbildes: der Starkult, männliche Vorbilder, Stichwort „zu große Schuhe“. Hinzu kommt das Care-Thema, das viel zu oft noch in Teilzeit abgedeckt werden muss. Wer Teilzeit arbeitet, kann sich nicht voll und ganz dem Beruf widmen – dieses Vorurteil hält sich unumstößlich und gilt als Karrierehindernis schlechthin. Es fehlen weibliche Vorbilder, die unterstützen und ermutigen, vorleben, dass Selbständigkeit und individuelle Lebensplanung einander nicht ausschließen. Warum die Professorinnen in der Minderheit sind, hat mit einer Besonderheit der akademischen Laufbahn in der Architektur zu tun: Lehrende der Architektur qualifizieren sich zumeist aus ihrer Praxis heraus, also über ihr Werk. Der Ruf der Hochschule kommt erst nach erfolgreichem Karriereverlauf – und damit stehen wir wieder am Beginn des Problems.

 

Wie unterscheidet sich der weibliche Blick auf Architektur und Stadtplanung vom männlichen?

Allein Ihre Fragestellung zeigt schon die „männliche“ Sicht! Weil Stadt und Raum die gesamte Gesellschaft abbilden, ist es gegenwärtig zwangsläufig ein einseitiger Blick, nämlich der männlichen Architekten. Da es mir aber nicht um männliche oder weibliche Architektur geht, sondern um die durch Architektur gestaltete Zukunft unseres Zusammenlebens als Gesellschaft, ist die Genderdebatte leider immer noch nötig. Mein Streben geht dahin, diese Fragen nicht mehr beantworten zu müssen, sondern selbstverständlich eine Teilhabe aller Identitäten als Maßstab zu haben. Ideen davon  geben heute schon Städte wie Paris, Kopenhagen, Wien oder Barcelona – allen gemein sind weibliche Stadtmacherinnen, die den Fokus u.a. auf gender-inklusive Freiräume legen.

 

Obwohl ich mich mit meiner vorigen Frage als Mann von Gestern disqualifiziert haben könnte, wüsste ich gerne, wie sich Planung und Architektur in einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis verändern würden?

Ob dadurch eine andere Architektur entsteht, vielleicht eine sensiblere oder stärker gemeinwohlorientierte, müssen wir dann beurteilen. Sicherlich werden andere Akzente gesetzt. Ein zeitgenössisches Beispiel ist die Arbeit der jungen, italienischen Architektin Marta Maccaglia, Jahrgang 1983, die seit zehn Jahren eine gemeinnützige Architekturorganisation führt und im peruanischen Regenwald Schulen und öffentliche Räume baut. Das interdisziplinäre Team wird paritätisch von Architekt:innen, Bauarbeiter:innen und Handwerker:innen geleitet. Marta ist davon überzeugt, dass kooperative Arbeit der einzige Weg ist, um ein starkes Fundament für das gesellschaftliche Miteinander zu schaffen. In den 1960er Jahren ist es beispielsweise Lina Bo Bardi in Brasilien gelungen einen eigenen, selbstbewussten Stil als Architektin zu praktizieren und nachhaltig umzusetzen. Es geht um das Selbstverständnis, die Akzeptanz, die Partizipation, das Mitwirken, das Mitdiskutieren, Mitgestalten in allen Rollen und auf Augenhöhe. Und sicherlich fokussiert der weibliche Blick Themen, die einen anderen Diskurs initiieren. Wenn eine Diversität in der Planung vorhanden ist, kommt zwangsläufig eine vielfältige Auseinandersetzung auf, Themen werden kontrovers diskutiert, umfassend beleuchtet, divers ausgestaltet. Hinzu kommen klassische Attribute einer gegebenenfalls empathischeren Gesprächsführung, weniger kompetitiven Dialogform und Haltung oder auch inklusive Denk- und holistische Planungsansätze.

Wenn wir uns einig sind, dass in DAX40-Unternehmen eine Genderquote sinnvollerweise eingeführt wurde, um einen positiven Impact auf die Unternehmenskultur auszuüben – warum gilt dies nicht für die doch recht konservative, immer noch patriarchalisch geprägte Architektenschaft?

 

Wen möchten Sie mit Ihren Vorlesungen, dem Blockseminar (8. bis 10. Mai) und dem Symposium (22./23. Juni) in erster Linie ansprechen?

Das Seminar richtet sich an Architekturstudierende, ob cis oder trans, die am Genderthema interessiert sind sowie an Masterstudierende, die mit offenen Augen durch die gebaute Um-Welt gehen, initiativ und offen sind, teamorientiert eine neue Arbeitskultur in das Architekturumfeld einbringen möchten. Auch diskursinteressierte Studierende, die sich gerne publizistisch auseinandersetzen, die Interviews führen und eine Ausstellung konzipieren möchten und sich aktiv bei unserem Symposium „Come as you are!“ engagieren, als Thesisgeber:in, Moderator:in, Pat:in oder Fotograf:in. Das Symposium ist für Kolleg*innen und Studierende aus Kaiserslautern und ganz Rheinland-Pfalz interessant, weil wir Gastgeber für internationale Kolleg:innen sind, die hier nicht jeden Tag zugegen sind. Die Vorlesungen sind geeignet, um die Bandbreite des Themas zu erfassen und bieten eine solide Grundlage, um tiefer in die Diskussion über Veränderungsprozesse einzusteigen.

Worauf sollte in der Architekturlehre künftig mehr geachtet werden, um das Berufsbild in Richtung Gendergerechtigkeit zu verändern?

Wir müssen den environmental footprint aller Bauprojekte verbessern. Das heißt der gesellschaftliche Rahmen und Blick über den fachlichen Tellerrand muss sich noch weiter öffnen. Die Perspektiven aus weiblicher Sicht jeglicher Herkunft bereichern und eröffnen neue Handlungsfelder. Architektur ist eine soziale Disziplin! Soll heißen, dass ein holistischer Blick in der Planungskultur der einzige Weg ist, die Bau- und Klimawende für die Zukunft zu stützen: Ressourcenschonendes Planen und Bauen, zirkuläre Materialströme, Re-Use von Material und Bestand sind Themen, die in der Hochschullehre thematisiert werden und noch weiter vertieft werden müssen. Neue Materialien sollten erforscht, kollaborative und interdisziplinäre Teams bereits im Studium fachübergreifend erprobt werden. Baustein des Studiums sollte ebenso das Führen eines eigenen Büros sein, Berufsethik, Personalentwicklung und Identifikation. Wahrnehmung von und offener Blick für Role Models, die lehren, bauen und praktizieren sind inspirierende Momente für Studierende. Der Einbezug weiblicher Vorbilder in der historischen sowie zeitgenössischen Architekturgeschichte ist wesentlich, denn es gibt sie ja – es gab und gibt eben nicht nur Mies, Foster und Kollegen! Die Vielfalt der möglichen Berufsbilder innerhalb der Architektur schafft neue, breitere Handlungsfelder für angehende Architektinnen – diese sollten elaboriert werden.

 

Ihr eigener beruflicher Werdegang als Architektin, Galeristin und Publizistin vollzog sich in einer Zeit ohne besonderes Bewusstsein für Genderfragen. Gab es Phasen in ihrer Karriere, die in einer feministisch orientierten Gesellschaft anders verlaufen wären?

Ganz sicher! Vor allem aus meiner Erfahrung in der Rolle als angestellte Architektur-Redakteurin weiß ich, wie sehr diese eingeübten, hierarchischen, patriarchalischen Regeln berufliche Weiterentwicklung behindern können. Karriere im rein männlich dominierten Umfeld war zumindest bei mir nur in einer klassisch bedienenden Rolle möglich. Die oft zitierte „gläserne Decke“ wird aber zunehmend brüchig, weil weder moderne Unternehmer*innen noch moderne Adressat*innen sich mit dieser überkommenen Form zufriedengeben.

Als Selbstständige mit eigenem Studio und Galerie, habe ich diese Erfahrungen allerdings nicht gemacht. Ich leite, treffe Entscheidungen, konzipiere Strategie und Teams und bin auf Augenhöhe mit dem Gegenüber – egal welcher Identität. Ich setze Akzente für Planung und Umgang, vorurteilsfrei. Wertschätzung und Respekt sind selbstverständlicher Bestandteil einer beruflichen Begegnung, Können und Wissen aber Voraussetzung für einen gemeinsamen Erfolg. Aber natürlich merke ich auch hier zuweilen, ob mein Gegenüber noch in einer klassischen, sagen wir männlichen Kultur geprägt ist oder von einem diversen, gleichberechtigten, offenen und selbstverständlichen Umfeld. Unternehmenskultur, in jeglichem Kontext, muss authentisch gelebt werden und darf nicht nur Zeitgeist, Lippenbekenntnis, Marketing oder Greenwashing sein!

 

 

 

 

 

 

Die Fragen stellte Nils Ballhausen.

 

Christiane Fath führt in Berlin ein interdisziplinäres Studio für Architektur und Kommunikation. Als Architektin, Kuratorin und Kulturmanagerin beschäftigt sie sich seit über zwanzig Jahren mit einer authentischen Vernetzung von  Architektur, deren Protagonisten und der Industrie. Zusammen mit acht diversen Persönlichkeiten gründete sie 2021 den DIVIA – DIVERSITY IN ARCHITECTURE e.V., der die Sichtbarkeit von Frauen in der Architektur und Stadtplanung erhöhen möchte; der divia award wird 2023 in Berlin und Venedig erstmals verliehen.

 

Die Klara Marie Faßbinder-Gastprofessur für Frauen- und Geschlechterforschung wird seit 2001 durch das rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerium gefördert und rotiert zwischen den rheinland-pfälzischen Hochschulen. Semesterweise folgt eine international renommierte Wissenschaftlerin dem Ruf an die jeweils ausrichtende Hochschule.

Die Gastprofessur soll den Forschungszweig der Frauen- und Geschlechterforschung in Rheinland-Pfalz stärken, die entsprechenden Lehrangebote erweitern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden das Netzwerken ermöglichen. Die Gastprofessur wird im Sommersemester 2023 von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) ausgerichtet. Für die Durchführung der Gastprofessur stellt die Landesregierung der Hochschule Mittel in Höhe von 25.000 Euro zur Verfügung.