»Die Stadt funktioniert in Sachen Migration weltweit als Integrationsmaschine«
Seit März 2022 ist Prof. Helmut Kleine-Kraneburg, Lehrgebiet Baukonstruktion II und Entwerfen am fatuk, ehrenamtlicher Vorstandssprecher der Stiftung urban future forum e.V. in Frankfurt am Main. Das urban future forum existiert seit 2005. Gegründet wurde es von Wolfgang Böhm, 1992 – 2014 Professor für Gebäudelehre und Entwerfen am Fachbereich Architektur der ehemaligen TU Kaiserslautern, Peter Rhein, langjähriger Dezernent der Stadt Frankfurt am Main, der damaligen Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth und der Mäzenin Sylvia von Metzler.
Herr Kleine-Kraneburg, was gab 2005 den Anstoß zur Gründung des urban future forum?
Den Architekten Wolfgang Böhm und den Gerontologen Peter Rhein, unsere Gründer, beschäftigte damals aus ihrer jeweiligen Profession heraus dasselbe Thema: die Zukunft des Wohnens. In verschiedenen Formaten wollten sie gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen der europäischen Stadt betrachten und diskutieren lassen. Die Rede war sogar von einem „Davos des Städtebaus und der Architektur“, das man etablieren wollte, angelehnt an das bekannte Weltwirtschaftsforum in der Schweiz. Den ersten großen Kongress zur Zukunft des Wohnens im Jahr 2007 fand ich so inspirierend, dass ich beschloss, mich in der Stiftung zu engagieren.
Wirkt die Stiftung auf konkrete Projekte ein?
In erster Linie ist es ein Ort des interdisziplinären Gedankenaustauschs; aber in unserer Reihe „Die Stadt und…“ beschäftigen wir uns mit brisanten lokalen Themen, etwa dem Verkehr, der Kriminalität, dem öffentlichen Raum. Durch die Podiumsgäste und das Publikum werden stadtpolitische Debatten reflektiert, verbunden mit der Hoffnung, dass daraus neue Impulse in die Stadtöffentlichkeit gelangen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Seit Jahren wird die Zukunft des Frankfurter Schauspielhauses diskutiert, also habe ich im Sommersemester 2019 dieses Thema zur Diplomaufgabe bzw. Master Thesis an unserem Fachbereich formuliert, und zwar mit sehr realistischen Vorgaben. Die Entwürfe konnten wir schließlich im Deutschen Architekturmuseum in einer großen Veranstaltung präsentieren, bei der die Protagonisten zum ersten Mal in der Öffentlichkeit frei von politisch-taktischen Erwägungen über das Thema diskutierten. Das wirkte sich – medial verstärkt – unmittelbar auf die Debatte aus.
Ist es für das urban future forum überhaupt möglich, unparteiisch zu sein?
Da alle Beteiligten ehrenamtlich tätig sind, gibt es jedenfalls keine Abhängigkeiten. Für jede Veranstaltung müssen wir erneut Sponsoren ansprechen, überwiegend sind es private Förderer, die sich engagieren, aber auch Wohnungsbaugesellschaften oder Projektentwickler, die an aktuellen Themen der Stadt interessiert sind. Durch die Spenden wird uns der Betrieb einer Geschäftsstelle mit derzeit drei Mitarbeitenden ermöglicht, um inhaltlich wie organisatorisch kontinuierlich arbeiten zu können.
Als neuer Vorstandssprecher haben Sie sicherlich eine persönliche Agenda?
Mich interessiert vor allem die Infrastruktur der Städte: Wie ist die horizontale Fläche der Stadt in gestalterischer Hinsicht beschaffen? Wie sehen die öffentlichen Flächen, Straßen, Trottoirs aus, also jene Bereiche, die wir tagtäglich benutzen? Ein anderes Thema, das uns sehr interessiert, ist die Nachhaltigkeit von Architektur und Städtebau. Zusammen mit dem Paläontologen Volker Mosbrugger haben wir letztens eine Vortrags- und Diskussionsreihe konzipiert, in der Stadt und Architektur in einem größeren, erdgeschichtlichen Zusammenhang betrachtet werden, wenn man so will, im Spektrum unseres irdischen Daseins. „Bauen als Umweltzerstörung“, „Die Relevanz des Gebauten“, „Das Material der Stadt“ waren Titel der bisherigen Veranstaltungen. Als nächstes soll das Verhältnis zwischen der Investition und den Folgekosten des Bauens beleuchtet werden. In diesem Zusammenhang ist für mich persönlich auch der Umgang unserer Gesellschaft mit ihrem baulichen Erbe von Interesse. Das Thema werden wir künftig noch stärker in den Fokus rücken.
Ist der Begriff „europäische Stadt“ heute noch haltbar? Der Eurozentrismus steht seit Jahren in der Kritik, unsere Art des Wirtschaftens, des Bauens, des Zusammenlebens, nicht zuletzt auch die Exklusion einer „Festung Europa“ hat doch viele globale Probleme erst produziert.
Ich kann die Bedenken alle nachvollziehen. Vielleicht wäre es heute präziser, das „europäische“ entfallen zu lassen und eher zu sagen: für die Zukunft der Stadt. Denn auch wenn Städte nach ihren jeweils eigenen Prinzipien und Gegebenheiten funktionieren, so lassen sie sich doch vergleichen; und sie können voneinander lernen! Die Stadt funktioniert zum Beispiel in Sachen Migration weltweit als Integrationsmaschine. Diversität und Emanzipation sind in einem gesellschaftlich relevanten Maßstab eigentlich nur in Städten vorstellbar. Ihre Potenziale zu verstehen, zu bewerten und dadurch vielfältig anwendbar zu machen, ist und bleibt eines unserer Kernanliegen.
Das Gespräch führte Nils Ballhausen
Die genannten Vorträge und Diskussionspanels sind als Aufzeichnung abrufbar unter: www.urbanfutureforum.de