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Portraitfoto Boris Milla

»Das Schöne und Besondere an unserem Beruf ist, dass wir mit den Widersprüchen unserer Welt arbeiten.«

Prof. Boris Milla hat im Sommersemester 2023 die Leitung des Lehrgebiets Baukonstruktion I und Entwerfen am fatuk übernommen. Ein Gespräch über die veränderten Anforderungen der Studierenden, das Politische an der Architektur und die Vorteile des kleinen Maßstabs.

Boris Milla, im Wintersemester 2023/24 gibt es am fatuk eine ungewöhnlich hohe Zahl an Studienanfängern. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Viele gegenwärtige Entwicklungen dürften noch der Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen während der Pandemie geschuldet sein. Es wurde ja oft diskutiert, welche Berufe denn eigentlich „systemrelevant“ seien. Ich kann mir vorstellen, dass viele ihre Berufswahl heute an der Frage messen: Was kann ich damit für die Gesellschaft bewirken? Auch im öffentlichen Diskurs wird nach meiner Beobachtung die Planungskompetenz von Architektinnen und Architekten zunehmend als politisch relevant wahrgenommen. Und für uns Lehrende ist es umso befriedigender, dieses Interesse der Studierenden mit aktuellen Fragestellungen bedienen zu können.

 

Sie sind seit über zehn Jahren in der Architekturlehre tätig. Haben Sie den Eindruck, dass die Erstsemester damals anders waren?

Die Themen haben sich, wie überhaupt in der Architektur, stark verändert. Während es damals noch eher darum ging, wie man lernt, herausragend zu entwerfen, so liegt der Fokus heute eher auf allgemeinen Fragen der Sinnhaftigkeit. Oder ganz konkret: Wie gehen wir mit den Ressourcen um? Auch im eigenen Büro wurde in den letzten zehn Jahren die Richtung der Projekte und die Entwicklung von neuen Bauweisen immer wichtiger.

 

Die Generation Z wird medial oft als ein Albtraum für Arbeitgeber dargestellt. Sie sei ständig auf der Suche nach dem Sinn und sich selbst.

Ich sehe das positiv: Wir werden durch die Jungen gezwungen, oder besser: ermuntert, uns mit einer Vielfalt von Lebensvorstellungen zu beschäftigen, was verhindern kann, dass wir irgendwann nur noch im eigenen Saft unserer Disziplin schmoren. Hin und wieder wird es allerdings etwas anstrengend, wenn ständig alles in Frage gestellt wird, sogar das Unveränderliche. Als Architekten und Architektinnen sind wir nun einmal gewissen Bedingungen unterworfen.

 

Welche meinen Sie zum Beispiel?

Wer Architektur machen und damit die Welt ein Stück weit verändern will, benötigt immer eine Gruppe von Menschen, die dahinter steht. Da Architektur immer diskussionswürdig ist, gehört die Überzeugungsarbeit zum Beruf dazu. Ich muss mit meinen Ideen auf andere zugehen und ihre Vorstellungen berücksichtigen. Man kann das natürlich auch radikal anders sehen und explizit nicht bauen und null Emissionen erzeugen, aber das ist für mich persönlich keine Lösung. Ich versuche grundsätzlich optimistisch heranzugehen und glaube daran, dass durch Architektur Verbesserungen herbeigeführt werden können – gesellschaftliche und auch ökologische.

 

Diese Verbesserungen sind allerdings nicht bezifferbar, im Gegensatz zu einer Ressourceneinsparung durch Nicht-Bauen.

Die Wirkung von Architektur sollte man nicht in Einzelwerte aufschlüsseln, sie muss in ihrer Komplexität betrachtet werden. Die Bewertung von Architektur ist auch eine Sache der Interpretation, der Gewichtung von Zielen. Durch Holzbau lässt sich CO2 für Jahrzehnte einspeichern, übrigens auch bezifferbar. Und wenn soziale Nachhaltigkeit, graue Energie oder positive Effekte durch Kohabitation nicht beziffert werden, haben sie in der Realität trotzdem Auswirkungen. Das Schöne und Besondere an unserem Beruf ist, dass wir mit den Widersprüchen unserer Welt arbeiten und diese in einem Bauwerk auflösen oder versöhnen können.

 

Ist die Architektur hierzulande in den letzten Jahren politischer geworden?

Ja, das meine ich schon. Man bemerkt, dass auch bestehende Architektur durch die politische Brille betrachtet und bewertet wird. Architektur bildet immer die Zeit ihrer Entstehung ab. In einer Phase homogener gesellschaftlicher Verhältnisse werden die Antworten auf Baufragen ebenfalls homogen ausfallen. Aus der Position einer heterogenen Gesellschaft ist das zu kritisieren, aber wir sollten darauf vertrauen, dass sich Architektur verändern und anpassen lässt, wenn der Wille dazu vorhanden ist.

 

Der Bundeskanzler hat kürzlich gefordert, dass in Deutschland zwanzig neue Großsiedlungen gebaut werden sollten. Das ist wohl der größtmögliche Gegensatz zu Ihrer architektonischen Strategie, mit relativ kleinen, sorgfältig detaillierten Bauwerken die Anforderungen Ihrer Bauherren zu lösen.

Unsere Beschäftigung mit Architektur ist verknüpft mit dem Anspruch, eine Architektur zu machen, die dauerhafter ist als ihre Auftraggeber und auch noch in weiterer Zukunft funktionieren muss. Kleine Bauten gewähren oft eine größere Freiheit, sowohl im Entwurf als auch bei der Umsetzung. Wenn sie dann einmal in der Welt sind, lassen sie sich überprüfen und auf ihren architektonischen Gehalt im Sinne von Verbesserungen befragen. Im besten Fall wirken sie dann positiv auf ihre Umgebung. Deswegen finde ich die Beschäftigung mit dem kleinen Bauwerk auch ideal für Forschung und Lehre. Diese Best-practice-Bespiele müssen natürlich skaliert werden, um im Mainstream eine wirklich relevante Wirkung zu erzielen. Auch daran arbeiten wir.

 

Welche Forschungsansätze interessieren Sie besonders?

Einerseits die materialorientierte Forschung, also die Fragestellung, aus welchen Materialien und in welcher Bauweise wir in Zukunft noch guten Gewissens Architektur konstruieren können, etwa aus Holz, Lehm, nachwachsenden Rohstoffen, oft auch durch Neukombinationen altbewährter Materialien. Und wie können zukünftig erdölbasierte Baustoffe und Zement ersetzt werden? Andererseits geht es um typologische Forschung, also die Frage, wie man beispielsweise mit Modulbauten aus Holz den baulichen Bestand ergänzen und qualifizieren kann. Dazu haben wir im vergangenen Semester in Kooperation mit dem Landkreis Südwestpfalz einen studentischen Wettbewerb durchgeführt, bei dem es um die Ertüchtigung und Verbesserung der Substanz in Dorfkernen ging. Das sind kleine Schritte, verglichen mit den oben erwähnten Großsiedlungen, aber sie bestätigen mein Grundvertrauen, dass wir die Probleme unserer Zeit lösen können und nicht ohnmächtig davor verharren müssen.

 

Das Gespräch führte Nils Ballhausen.

 

 

Boris Milla absolvierte eine Ausbildung zum Bauzeichner, bevor er Architektur an der TU Kaiserslautern studierte. Nach seinem Diplom 2003 arbeitete er zunächst in München bei Florian Nagler Architekten und bei Meck Architekten, gleichzeitig realisierte er erste eigene Projekte. 2008 bis 2017 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Karlsruhe bzw. am KIT. 2015 gründete er in Karlsruhe sein Büro Milla Architekten, das 2017 den Holzbaupreis Rheinland-Pfalz erhielt. 2019 wurde er in den BDA und 2022 als Professor an die RPTU Kaiserslautern-Landau berufen, wo er am fatuk (Fachbereich Architektur) das Lehrgebiet Baukonstruktion I und Entwerfen leitet.