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© Bild: Initiative an.ders Urania

An der Urania

In Berlin soll ein Verwaltungsbau aus den 1960ern abgerissen und durch einen Wohnungsbau ersetzt werden. Eine gute Idee? Oder wären Erhalt und Umbau die bessere Variante? Mit dieser Frage haben sich die Absolvent:innen des fatuk vier Monate lang beschäftigt und werden nun ihre Ergebnisse präsentieren. Über die knifflige und politisch heikle Aufgabenstellung sprechen wir mit Prof. Johannes Modersohn, Fachgebiet Baukonstruktion III und Entwerfen.

Vierundfünfzig Abschlussarbeiten werden in diesem Semester erwartet – ein neuer Rekord am fatuk. Liegt es vielleicht an der speziellen Aufgabe?

Wenn ich sehr eitel wäre, könnte ich das behaupten, aber ich denke eher, dass viele Studierende ihren Abschluss wegen der Covid-Phase verschoben haben und es deswegen jetzt zu einer Art Welle gekommen ist.

 

Aber die Aufgabe ist ja absolut zeitgemäß: Mehr Umbau statt Abriss und Neubau, so lautet sogar das Postulat der Berufsverbände. Die Berliner Architektenkammer hat erst jüngst den Berliner Bausenator aufgefordert, das zum Abriss freigegebene Gebäude An der Urania 4–10 doch noch zu erhalten, um es zu transformieren.

Unser Berufsstand muss sich heute verstärkt konstruktiv mit solchen aus der Zeit gefallenen Gebäuden auseinandersetzen. Das 12-geschossige Gebäude in Berlin, um das es hier geht, wurde in den Jahren 1964 bis 1967 nach Plänen von Werner Düttmann, Klaus Bergner und Karlheinz Fischer als Verwaltungsbau errichtet. Es entstand in einem Stadtraum, der nach den Kriegszerstörungen von Flächenabrissen geprägt war, umgeben von überdimensionierten Verkehrsschneisen, die vornehmlich dem Autoverkehr gewidmet waren. Fast jede Großstadt in Deutschland kennt solche städtebaulichen Situationen.

 

Ich muss gestehen, dass ich das Gebäude trotz seiner Größe nie wirklich wahrgenommen habe. Für mich ist das ein Unort ohne jede Aufenthaltsqualität. Wieso sollte man daran festhalten?

Die Stadt Berlin benötigt dringend bezahlbare Wohnungen, und da sich das Grundstück samt Gebäude in öffentlicher Hand befindet, ist der Gedanke naheliegend, in sehr zentraler Lage der City-West Wohnraum schaffen zu wollen. 2018 wurde ein Werkstattverfahren für die Neuordnung des Kreuzungsbereichs Kurfürstenstraße/An der Urania durchgeführt. Das Ergebnis sah den Abriss der Gebäude An der Urania 4–10 und des gegenüberliegenden Pressehauses Constanze vor, das inzwischen abgerissen ist. Eine Blockrandstruktur mit einer höheren Bruttogeschossfläche soll den Stadtraum an dieser Stellen heilen.

 

Soweit business as usual. Warum ist dieser Prozess ins Stocken geraten? Was hat sich seither verändert?

Inzwischen hat sich allgemein herumgesprochen, dass der bislang übliche Lauf der Dinge, also Abriss und Neubau, in diesem Fall kaum zu verantworten ist, und das nicht nur aus ökologischen Gründen. Im Herbst 2023 hat sich eine Initiative gegründet, die sich für den Um- und Weiterbau der inzwischen bis auf den Rohbau abgebrochenen Tragstruktur einsetzt. Das wäre nach der – sowieso notwendigen – Schadstoffsanierung der Bausubstanz durchaus möglich. Das Besondere an diesem Gebäude ist, dass sich seine Flächen vielseitig umnutzen ließen, ob als Wohnraum, Kita, Schule, Büro oder auch als hybride Kombination unterschiedlicher Funktionen. Deswegen haben wir in unserer Aufgabenstellung auch keine konkrete Nutzung vorgegeben.

Steht der fatuk bei diesem Projekt im Kontakt mit der Berliner Senatsbaudirektorin?

Petra Kahlfeldt ist unserem Fachbereich seit Langem verbunden, sie stammt bekanntlich aus Kaiserslautern, und sie selbst hatte mich vor einiger Zeit auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Bausenator Christian Gaebler steht unter hohem Druck, endlich neue Wohnungen zu liefern, und die dafür geeigneten Grundstücke sind rar. Andererseits besteht hier die Chance, durch die Weiterverwendung eines Rohbaus nicht nur eine riesige Menge CO2-Emissionen einzusparen, sondern auch ein architektonisches und städtebauliches Vorzeigeprojekt umzusetzen. Das Baukollegium, ein beratendes Gremium aus internationalen Fachleuten, hatte letzten Sommer entschieden, dass wenigstens eine Machbarkeitsstudie durchgeführt werden solle. Passiert ist seitdem leider nichts, vermutlich aus politischen Gründen, und deswegen ist die Initiative andersurania aktiv geworden.

 

In den 1960er Jahren hatten Planer selten Skrupel, das Alte abzuräumen, um die „neue Stadt“ aufzubauen. Sollten heutige Architekturstudierende versuchen, sich in die Gedankenwelt ihrer Vorvorgänger-Generation hineinzuversetzen, um die Intentionen und Strukturen von damals zu begreifen?

Ich denke, der Versuch lohnt sich, denn es war eine sehr wichtige, entscheidende Zeit, nicht nur in Berlin, da aber ganz besonders, weil die deutsche Nachkriegsgeschichte dort besonders gut ablesbar ist. Bei unserer Exkursion nach der Herausgabe der Aufgabenstellung haben wir uns viele Bauten aus dieser Zeit angeschaut, etwa das spektakulär umgebaute Bikinihaus, ein transformiertes Baudenkmal aus den 1950er Jahren. Und in der Akademie der Künste, ebenfalls von Werner Düttmann geplant und aus demselben Zeitgeist heraus entstanden, konnten wir uns schließlich die Ausstellung „The Great Repair“ ansehen, die den heute sehr relevanten Umgang mit dem Bestand thematisierte.

 

Noch einmal zurück zur Diplom/Master-Aufgabe: Sollten sich angehende Architekt:innen nicht nur um die Planung, sondern verstärkt auch um die Projektentwicklung kümmern? Droht dadurch vielleicht eine Überforderung?

Die Entdeckung von Potenzialen ist sicherlich eine wichtige Aufgabe unseres Berufs. Man muss herausfinden, welche Defizite das Umfeld aufweist und welche Potenziale in ihm schlummern. Architekt:innen tragen aber auch eine Verantwortung dafür, die Stadt vor grobem Unfug zu bewahren. Darauf sollte man schon achten, wenn man mit Auftraggeber:innen spricht. Und ich glaube, es ist keine Überforderung für Studierende, die einen Master an einer Technischen Universität machen, sich über ein vernünftiges Nutzungskonzept Gedanken zu machen.

 

Wird man in Berlin von den Konzepten unserer Absolvent:innen erfahren?

Wir hatten im Vorfeld intensiven Kontakt mit Prof. Martin Noell von der UdK Berlin, der ebenfalls in der Initiative andersurania aktiv ist und wir werden später die interessantesten Projekte der Senatsbaudirektion und dem BIM, dem Berliner Immobilienmanagement, vorstellen, das für dieses Projekt zuständig ist. Was ich aber jetzt schon verraten kann: Von den Studierenden, die bei uns den Abschluss machen, hat niemand vor, das Gebäude An der Urania abzureißen.

 

Das Gespräch führte Nils Ballhausen.

Die Abschlusspräsentation der Diplom/Master Thesis findet vom 16. bis 19. April 2024 am Fachbereich Architektur der RPTU Kaiserslautern-Landau statt.